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Betriebliche Altersversorgung ist auch eine Absicherung gegen Invalidität. In zwei Urteilen vom 13. Juli 2021 hat das BAG den Versorgungsfall "Invalidität" konkretisiert. In diesem Sinn kann eine dauernde Erwerbsunfähigkeit schon dann vorliegen, wenn nur eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt wird. Die Zahlung der Invalidenrente darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass auch das Arbeitsverhältnis beendet ist.
Betriebliche Altersversorgung ist auch eine Absicherung gegen Invalidität. In diesem Sinn kann eine dauernde Erwerbsunfähigkeit schon dann vorliegen, wenn nur eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt wird. Die Zahlung der Invalidenrente darf nicht davon abhängig gemacht werden, dass auch das Arbeitsverhältnis beendet ist (Urteile des BAG vom 13. Juli 2021, 3 AZR 445/20 und 3 AZR 298/20).
Spricht die Versorgungsordnung von "Invalidität", "Berufs-" oder "Erwerbsunfähigkeit", wird zumeist an die Terminologie der gesetzlichen Rentenversicherung angeknüpft. Wenn der Arbeitgeber diese Begriffe nicht selber definiert und den Eintritt des Versorgungsfalles nicht genauer bestimmt, sollen in der Regel die sozialversicherungsrechtlichen Voraussetzungen übernommen werden.
Dies ist meist eine dynamische Bezugnahme auf das jeweils geltende Sozialversicherungsrecht. Statische Verweisungen und damit eine Festschreibung bestimmter Regelungen sind die Ausnahme und müssten deshalb deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Die frühere Erwerbsunfähigkeitsrente entspricht daher heute der Rente wegen voller Erwerbsminderung. Auch eine Rente wegen einer teilweisen Erwerbsminderung kann zu einer Invalidenrente berechtigen, selbst wenn eine alte Versorgungsordnung nur eine Rente wegen Berufs- und Erwerbsunfähigkeit regelt.
Dagegen kommt es nach der jüngsten Rechtsprechung vom 13. Juli 2021 nicht darauf an, ob eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung befristet oder unbefristet gewährt wird. Voraussetzung der völligen Erwerbsminderung wie auch der früheren Erwerbsunfähigkeit ist, dass der Versicherte "wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande" sein muss, in näher bestimmtem Umfang erwerbstätig zu sein. Die Erwerbsminderung muss daher „voraussichtlich dauernd“ sein. Dies bedeutet zwar "für längere Zeit in gleich bleibender Weise vorhanden/wirkend/geltend“, nicht jedoch endgültig. Eine dauernde Erwerbsunfähigkeit im Sinne einer Versorgungsordnung erfordert daher keine unbefristete Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Nach einer weiteren aktuellen Entscheidung des BAG vom selben Tag ist eine Klausel unwirksam, wonach für die Zahlung einer Invalidenrente das Arbeitsverhältnis beendet sein muss. Wesentliches Merkmal der betrieblichen Invaliditätsversorgung ist deren Entgeltersatzfunktion. Das Ausscheiden der versorgungsberechtigten Person aus dem Arbeitsverhältnis ist dagegen kein prägendes Merkmal und schränkt daher die Vertragstypik der Invalidenversorgung ein. Mit Wegfall des Anspruchs auf Arbeitsentgelt entsteht ein Einkommensverlust unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht. Weicht daher die Versorgung von dem gesetzlichen Leitbild der Invaliditätsversorgung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG ab, ist dies eine Benachteiligung des Arbeitnehmers. Sie ist – nach Abwägung der Interessen beider Seiten – unangemessen, weil in die grundrechtlich geschützte Rechtsposition des Arbeitnehmers auf Erhalt seines Arbeitsplatzes (Art. 12 GG) eingegriffen wird.
Trotz der unwirksamen Klausel zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat das BAG im entschiedenen Fall dennoch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt. Denn die Unwirksamkeit würde dazu führen, dass der Arbeitgeber bei bestehendem Arbeitsverhältnis zahlen müsste und so einer Doppelbelastung ausgesetzt wäre und keine Planungssicherheit hätte. Dies könnte eine unzumutbare Härte darstellen, insbesondere deshalb, weil die Rechtsprechung bislang solche Klauseln zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses anerkannt hatte. Zudem seien die Besonderheiten des Arbeitsrechts zu berücksichtigen (§ 310 Abs. 4 Satz 2, Halbsatz 1 BGB). Hierzu gehöre, dass die Versorgungsleistungen auf einer langfristigen Risikokalkulation beruhen und Erweiterungen der Risikoübernahme zu erheblichen Belastungen führen können. Das sei unangemessen, wenn sich die Unwirksamkeit einer Klausel erst aus einer Fortentwicklung der Rechtsprechung ergibt.
Somit ist durch die Unwirksamkeit der Klausel eine Regelungslücke entstanden, die das BAG durch eine ergänzende Auslegung schließt. Das Arbeitsverhältnis muss demnach weiterhin beendet werden, um eine Invalidenrente zu erhalten. Nach Ansicht der Richter müsse aber mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine rückwirkende Invalidenrente gezahlt werden. Diese rückwirkende Zahlung solle Verzögerungen bei der Entscheidung des Arbeitgebers über den Antrag auf Invalidenrente abdecken, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten habe. Wenn diese Entscheidung des Arbeitgebers länger als zwei Monate ab Antragstellung dauere, dann solle ab Ablauf dieser zwei Monate die rückwirkende Zahlung der Invalidenrente beginnen, auch wenn das Arbeitsverhältnis erst später beendet werde. Dadurch würden Doppelzahlungen des Arbeitgebers verhindert und Planungssicherheit hinsichtlich des Arbeitsplatzes geschaffen. Andererseits werde der Arbeitnehmer nicht gezwungen, sein Arbeitsverhältnis zu beenden, so lange noch Ungewissheit über die Anerkennung seiner Dienstunfähigkeit bestehe.
Invalidenrente ist auch zu zahlen, wenn die gesetzliche Rentenversicherung nur eine befristete Erwerbsminderungsrente gewährt. Ob dies ausdrücklich ausgeschlossen werden kann, war nicht Gegenstand der Entscheidung. Vor dem Hintergrund der zweiten Urteils vom 13. Juli 2021, in dem die Entgeltersatzfunktion der Invalidenrente betont wird, mag dies allerdings fraglich sein.
Dass das BAG im zweiten Urteil letztlich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Voraussetzung für die Invalidenrente akzeptiert hat und "nur" eine rückwirkende Zahlung für die Zeit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt, ist eine Folge seiner Rechtsprechung in der Vergangenheit. Denn bislang durften Arbeitgeber die Zahlung an diese Voraussetzung knüpfen. Es wäre unzumutbar, dem Arbeitgeber jetzt zur Zahlung zu verpflichten, auch wenn das Arbeitsverhältnis nicht beendet ist. Da aber das BAG nunmehr klargestellt hat, dass eine solche Klausel unwirksam ist, wird in neu geschaffenen Versorgungsordnungen diese Unzumutbarkeit keine Rolle mehr spielen. Daher muss von vorneherein eine wirksame Regelung geschaffen werden. Eine solche Regelung kann im Anschluss an den Regelungsvorschlag des BAG zwar an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses festhalten, muss aber eine rückwirkende Zahlung vorsehen.
Auch wenn die Entscheidung über die Klausel zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen betraf, wird die Konsequenz für Betriebsvereinbarungen wohl dieselbe sein. Denn das Leitbild der Invaliditätsversorgung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG und die grundrechtlichen Beschränkungen des Art. 12 GG schränken auch die Gestaltungsfreiheit der Betriebsparteien ein (vgl. § 75 BetrVG).
Verfasst von Thomas Frank.