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Massenentlassungen sind vorab bei der Agentur für Arbeit anzuzeigen (§ 17 KSchG). Hierbei ist größte Sorgfalt geboten, da Fehler in der Regel zur Unwirksamkeit von anzeigepflichtigen Kündigungen und Aufhebungsverträgen führen.
Die Massenentlassungsanzeige ist nur zu erstatten, wenn bei einer Betriebsgröße von:
innerhalb von 30 Tagen entlassen werden. Bei Kündigungen kommt es insoweit auf deren Zugang und bei Aufhebungsverträgen auf deren Abschluss an. Wann die Kündigungsfrist abläuft bzw. welcher Beendigungstermin vereinbart ist, ist dagegen unerheblich. Besonderheiten bestehen für Mitarbeitende mit Sonderkündigungsschutz, für die zuvor eine behördliche Zustimmung eingeholt werden muss (wir berichteten). Es ist denkbar, die Anzeigepflicht dadurch zu vermeiden, dass Kündigungen und Aufhebungsverträge geschickt gestaffelt und auf mehrere 30-Tages-Zeiträume verteilt werden.
Grundsätzlich sind alle Arbeitsverhältnisse mitzuzählen, unabhängig von Voll- oder Teilzeitstatus, Befristung oder Probezeit, einschließlich aller Auszubildenden und Praktikant*innen. Nach dem Gesetz werden aber insbesondere leitende Angestellte mit Personalkompetenz sowie Mitglieder des gesetzlichen Vertretungsorgans nicht berücksichtigt (§ 17 Abs. 5 KSchG). Hinsichtlich Geschäftsführer*innen beurteilt der EuGH dies anders und zählt sie mit (EuGH v. 9.7.2015, C-229/14). Sie sollten daher vorsorglich mit eingerechnet und in einer ergänzenden Erläuterung (z.B. in einem Begleitschreiben) sollte hierauf hingewiesen werden.
Ob ein Abbau von Leiharbeitnehmer*innen nur beim Verleiher oder auch beim Entleiher berücksichtigt werden muss, ist noch nicht höchstrichterlich geklärt. Vorsorglich sollten beim Entleiher abzubauende Leiharbeitnehmer*innen auch beim Entleiher mitgezählt werden, auch wenn die Agentur für Arbeit dies anders sieht (vgl. Ziff. 1.3.1 Abs. 6 Fachliche Weisungen). Auch insoweit empfiehlt es sich, die Einzelheiten zu erläutern.
„Entlassung“ meint jede durch die Mitarbeitenden nicht gewollte Beendigungen ihrer Arbeitsverhältnisse. Dazu zählen folglich alle ordentlichen Änderungs- und Beendigungskündigungen, gleich ob betriebs-, personen- oder verhaltensbedingt (zuletzt LAG Düsseldorf v. 15.10.2021, 7 Sa 405/21). Auch Aufhebungsverträge und Eigenkündigungen sind relevant, soweit sie nicht allein durch die Mitarbeitenden initiiert sind. Irrelevant sind dagegen fristlose Kündigungen (mit Ausnahme von außerordentlichen Kündigungen mit sozialer Auslauffrist) und Beendigungen infolge von Befristungen.
Wenn ein Betriebsrat besteht, muss er bereits vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige beteiligt werden (sog. Konsultationsverfahren; § 17 Abs. 2 KSchG). Er ist schriftlich insbesondere über die geplanten Entlassungen, deren Gründe, die Zahl und die Berufsgruppen der betroffenen und der in der Regel beschäftigten Mitarbeitenden, den Zeitraum der Entlassungen, die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Mitarbeitenden und die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien zu unterrichten. Den Zugang der schriftlichen Unterrichtungen sollte man sich vom Betriebsrat bestätigen lassen.
Mit dem Betriebsrat sind insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, wie Entlassungen vermieden oder eingeschränkt und ihre Folgen gemildert werden können. Noch nicht abschließend geklärt ist, wann diese Beratungen abgeschlossen sind. Es empfiehlt sich, dem Betriebsrat ein schriftliches Gesprächsangebot zu unterbreiten und den Ablauf der Beratung oder eine etwaige Verweigerung von Gesprächen durch den Betriebsrat zu dokumentieren. In der Praxis lässt sich dies gut mit Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen kombinieren. Ein Interessensausgleich mit Namensliste ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrats (§ 1 Abs. 5 S. 4 KSchG und § 125 Abs. 2 InsO). Die Stellungnahme kann aber auch in einen Interessensausgleich ohne Namensliste integriert sein, da kein eigenständiges Dokument erforderlich ist. In diesem Fall muss sie sich aber erkennbar auf die anzuzeigenden Entlassungen beziehen. Im Übrigen hat der Betriebsrat zwei Wochen Zeit, zur geplanten Massenentlassung Stellung zu nehmen (§ 17 Abs. 3 S. 3 KSchG).
Gleichzeitig mit der Unterrichtung des Betriebsrates – und vor der eigentlichen Massenentlassungsanzeige – ist der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Unterrichtung zuzuleiten (§ 17 Abs. 3 S. 1 KSchG). Das BAG hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine Verletzung dieser Pflicht zur Unwirksamkeit der Kündigungen führt (BAG v. 27.1.2022, 6 AZR 155/21 (A)).
Zeitlich muss die Anzeige zwingend vor Zugang der Kündigungen bzw. Abschluss der Aufhebungsverträge erfolgen. Wann diese vorbereitet und unterschrieben wurden, ist dagegen unerheblich (wir berichteten). Auch wenn dies nicht zwingend ist, empfiehlt es sich, das jeweils aktuelle Musterformular der Agentur für Arbeit zu verwenden. Ergänzende Erläuterungen können über ein Begleitschreiben erfolgen. Muss-Angaben sind Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes, die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu Entlassenden und der in der Regel beschäftigten Mitarbeitenden, den Zeitraum der Entlassungen und die Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Mitarbeitenden (§ 17 Abs. 4 S. 4 KSchG). Es ist darauf zu achten, dass die richtigen Berufsgruppen verwendet werden. Die Agentur für Arbeit fragt dagegen teilweise nach den (detaillierteren) Berufsklassen (wir berichteten). Daneben erregt aktuell ein Urteil des LAG Hessen (v. 25.6.2021, 14 Sa 1225/20; a.A. LAG Düsseldorf v. 15.12.2021, 12 Sa 347/21) Aufmerksamkeit. Obwohl das Gesetz insoweit von einer Soll- und nicht von einer Muss-Angabe ausgeht, wird zwingend die Angabe von Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Mitarbeitenden verlangt.
Zuständig ist die Agentur für Arbeit, in deren Bezirk der Betrieb seinen Sitz hat. Die vermeintlich einfache Vorgabe kann Schwierigkeiten bereiten, wenn mehrere Betrieb(steil)e existieren. Das BAG stellt in seiner „Air Berlin-Entscheidung“ insoweit auf den unionsrechtlichen Betriebsbegriff ab (BAG v. 13.2.2020, 6 AZR 146/19). Dieser weicht in Nuancen vom betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff ab. So kann sich die Zuständigkeit nach dem Sitz von Betriebsteilen oder Filialen richten, die nach dem BetrVG nicht als Betrieb anzusehen wären. Auch die Zuständigkeit mehrerer Agenturen kann im Einzelfall gegeben sein. Hier gilt größte Vorsicht, da die Anzeige bei einer unzuständigen Agentur für Arbeit die Unwirksamkeit der geplanten Entlassungen nach sich zieht. In Zweifelsfällen ist es daher empfehlenswert, mehrere Anzeigen bei den in Betracht kommenden Agenturen zu erstatten.
Das Massenentlassungsanzeigeverfahren begründet eine Reihe von Pflichten für die Unternehmen. Verstöße führen regelmäßig zur Unwirksamkeit von Kündigungen und Aufhebungsverträgen. Die Planung eines größeren Personalabbaus sollte daher stets frühzeitig die Massenentlassungsanzeige im Blick haben, damit keine Fehler unterlaufen. Eine sorgfältige Analyse des Einzelfalles ist an dieser Stelle immer lohnenswert, um nicht den Erfolg einer zeit- und kostenintensiven Restrukturierung zu gefährden.
Verfasst von Dr. Lars Mohnke.
Dieser Beitrag ist Bestandteil unserer Beitragsreihe „Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht“, in welcher wir aktuelle arbeitsrechtliche Themen erläutern und Praxishinweise geben. Vorschläge für die dazugehörigen Klauseln finden sich in unserem kürzlich erschienenen Beck’schen Formularbuch Arbeitsrecht, welches von den Arbeitsrechts- Partner*innen von Hogan Lovells bereits in der 4. Auflage herausgegeben wird und in das umfangreiche Know-How unserer Anwält*innen eingeflossen ist.