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Schriftformkündigung und vertragsimmanenter Konkurrenzschutz in Einkaufszentren trotz AGB-Ausschluss
BGH v. 26. Februar 2020 – XII ZR 51/19
Über den Entwurf des „Gesetzes zur Neuregelung des Schriftformerfordernisses im Mietrecht“ wurde im Bundestag noch nicht einmal beraten, da fällt der Bundesgerichtshof (BGH) erneut ein Urteil zur Schriftformthematik. Danach bedarf es für einen schriftformkonformen Vertragsschluss des Anscheins der Vollständigkeit der Unterschriften.
Bereits seit dem Urteil des BGH aus dem Jahr 2013 (Urteil vom 23. Januar 2013 – XII ZR 35/11) genügt es dem Schriftformerfordernis, wenn eines der zur gemeinschaftlichen Vertretung berechtigten Organmitglieder einer Gesellschaft einen Vertrag unterzeichnet und die Unterschrift entweder den Hinweis enthältSW, dass sie in Vertretung der übrigen Organmitglieder erfolgte oder unter Hinzuziehung des Firmen- oder Betriebsstempels geleistet wurde. Bei beiden Varianten bestünde kein Zweifel an der Vollständigkeit der Unterschriftsleistung, da dies bei einem Hinweis bereits durch diese Erklärung und bei einem Firmen- oder Betriebsstempel aufgrund der ihm innewohnenden Legitimationswirkung erfolge.
Zudem hat der BGH im vorliegenden Urteil – entgegen einer weit verbreiteten Auffassung in Literatur und Rechtsprechung – entschieden, dass der formularmäßige Ausschluss des Konkurrenzschutzes bei gleichzeitiger Festlegung einer Betriebspflicht mit Sortimentsbindung die Mieter eines Einkaufszentrums unangemessen benachteilige und damit unzulässig sei. Resultat sei die Pflicht zur Ausübung des vertragsimmanenten Konkurrenzschutzes durch den Vermieter.
Grundlage für das Urteil bot ein Rechtsstreit über den Fortbestand eines Mietverhältnisses.
Die klagende Vermieterin schloss mit der beklagten Mieterin (Beklagte zu 1) im Jahr 2009 einen formularmäßigen Mietvertrag, befristet auf zehn Jahre, über Food-Court-Flächen in einem Einkaufszentrum zum Betrieb eines Fast-Food-Restaurants für Kartoffelspeisen (insbesondere Kartoffelpufferspezialitäten). Der Vertrag enthielt einerseits eine Klausel zum Ausschluss eines Konkurrenz-, Sortiments- und Branchenschutzes, verpflichtete die Mieterin aber andererseits zur Betriebspflicht mit Sortimentsbindung.
Im Oktober 2015 wurde ein Nachtrag zum Mietvertrag geschlossen, wodurch eine Mitmieterin (Beklagte zu 2) dem Mietverhältnis hinzutrat. Das Rubrum des Nachtrages wies für die Beklagte zu 1 zwei gesamtvertretungsberechtigte GmbH-Geschäftsführer aus, von denen nur einer, unter Beifügung des Firmenstempels, auf der ersten von zwei Unterschriftenzeilen zeichnete. Die Unterschriftenzeile des zweiten Geschäftsführers, dessen Name maschinenschriftlich eingesetzt war, blieb frei.
Die Beklagten kündigten das Mietverhältnis zum einen ordentlich im Dezember 2016 zum 30. Juni 2017 unter Berufung auf die Nichteinhaltung der Schriftform nach § 550 BGB und zum anderen außerordentlich im Mai 2017 mit der Begründung der unangemessenen Benachteiligung aufgrund der Verknüpfung der Betriebspflicht mit Sortimentsbindung unter Ausschluss des Konkurrenzschutzes.
Die Beklagten unterlagen in beiden Vorinstanzen.
Die Schriftformkündigung der Mieter zum 30. Juni 2017 hatte letztlich Erfolg. Über die fristlose Kündigung konnte der BGH wegen noch zu treffender Feststellungen zum Sachverhalt noch nicht endgültig entscheiden, sah aber die vereinbarten Klauseln als unwirksam an, sodass vertragsimmanenter Konkurrenzschutz bestünde. Damit sind durch die fristlose Kündigung nur noch rund sechs Wochen im Mai und Juni 2017 in Streit.
Nach Ansicht des BGH wurde das Formerfordernis des § 550 BGB nicht eingehalten, weshalb der Vertrag nicht auf die vereinbarte Laufzeit befristet, sondern auf unbestimmte Zeit geschlossen und somit ordentlich kündbar war.
Dies begründete er damit, dass aufgrund der vorhandenen zweiten Unterschriftenzeile, welche ohne Hinweis leer blieb, gerade kein Eindruck der Vollständigkeit, sondern vielmehr der Unvollständigkeit erweckt werde. Ein potenzieller Erwerber, welcher grundsätzlich durch die Formvorschriften des § 550 BGB geschützt werden soll, könne nicht nachvollziehen, ob der Vertrag alle notwendigen Unterschriften enthält. Auch der verwendete Firmenstempel könne diesen Eindruck nicht verhindern, da durch diesen nicht hervorginge, weshalb die zweite Unterschriftenzeile leer blieb. Hätte der erste Geschäftsführer die zweite Zeile gestrichen oder sonst einen Hinweis angebracht, dass eine Unterschrift genügen solle, wäre dies anders zu beurteilen.
In der Berufung auf den Formverstoß durch die Mieterin sieht der BGH auch keinen Verstoß gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB. Rechtsmissbräuchlich wäre ein solches Verhalten lediglich dann, wenn der Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hätte. Da im vorliegenden Fall aber für die Vermieterin bei Vertragsunterzeichnung erkennbar gewesen wäre, dass nur einer von zwei vertretungsberechtigten Geschäftsführern der Mieterin den Vertrag unterschrieben hat und ihr eine Aufforderung, den Vertrag auch von dem anderen Gesellschafter unterzeichnen zu lassen, zumutbar gewesen wäre, sei § 242 BGB nicht einschlägig.
Auch die im Vertrag verankerte Schriftformheilungsklausel, welche durch den BGH als grundsätzlich unwirksam angesehen wird, konnte den Schriftformmangel nicht auffangen.
In der Kombination einer Betriebspflicht mit Sortimentsbindung und einem Ausschluss von Konkurrenz- und Sortimentsschutz sieht der BGH eine unangemessene Benachteiligung der Mieterin, da die Vermieterin einseitig eine Konkurrenzsituation herbeiführen, die Mieterin hierauf aber nicht durch entsprechende Sortimentsanpassung oder Anpassung der Betriebszeiten reagieren könne. Die Klauseln seien somit unwirksam.
Jeweils für sich genommen seien Betriebs- und Offenhaltungspflichten, Sortimentsbindungen und der Ausschluss von Konkurrenzschutz rechtmäßige Klauseln in Gewerbemietverträgen. Lediglich die Kumulierung der Klauseln führe zu einer unangemessenen Benachteiligung nach § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB, da wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, nämlich der vertragsimmanente Konkurrenzschutz, so eingeschränkt seien, dass die Erreichung des Vertragszwecks (die ungestörte Gebrauchsüberlassung der Mietsache) gefährdet sei.
Jeder Mietvertrag, auch solche für Mieter in Einkaufszentren, enthielten einen vertragsimmanenten Konkurrenzschutz. Danach sei der Vermieter verpflichtet, keine Räumlichkeiten in der Nähe des Mieters an Konkurrenten zu vermieten oder gar selbst in Konkurrenz zu dem Mieter zu treten. Der Umfang des Schutzes richte sich bei Einkaufszentren nach deren Größe. So sei in kleineren Zentren ein größerer Schutz vor Konkurrenten geboten als in größeren. Abhängig sei dies auch von dem zugrundeliegenden Betriebskonzept des Einkaufszentrums.
Noch nicht ausreichend festgestellt war, ob auch tatsächlich eine Konkurrenzsituation im konkreten Fall (Angebot hauptsächlich von Kartoffelspeisen in unmittelbarer Nachbarschaft) vorlag, weshalb der Rechtsstreit insoweit an das Kammergericht zurückverwiesen wurde.
Das Urteil zeigt, dass der BGH grundsätzlich an seiner Rechtsprechung festhält und weiterhin Firmenstempel zur Anzeige der Vertretungsberechtigung genutzt werden können, aber der Vertrag zugleich immer den Anschein der Vollständigkeit erwecken muss. Daher ist in den Fällen, in denen nur einer von mehreren vertretungsberechtigten Personen zeichnet, deutlich zu kennzeichnen, dass der Unterzeichnende in Vertretung aller unterschreibt.
Zwar heißt es im allgemeinen Sprachgebrauch „Konkurrenz belebt das Geschäft“, der BGH legt den Vermietern durch das aktuelle Urteil jedoch gerade die Pflicht auf seine Mieter vor unmittelbarer Konkurrenz zu schützen. Konsequenz der Entscheidung zur Kumulierung von Sortimentsklauseln und Klauseln zum Ausschluss von Konkurrenzschutz ist der Wegfall der Sortimentsbindung unter gleichzeitigem Aufleben des vertragsimmanenten Konkurrenzschutzes. Bei dessen Verletzung können Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche, Mietminderungsansprüche, Zurückbehaltungsrechte an der Miete, Schadensersatzansprüche und Kündigungsrechte der Mieter entstehen.
Der typische Vermieter, dessen Mietverträge für das Einkaufszentrum insoweit alle gleichlautend sind, gerät hingegen in eine missliche Lage. Denn ihm droht die Geltendmachung der vorgenannten Ansprüche, ohne Einfluss auf das Sortiment der konkurrierenden Mieter nehmen zu können. Der BGH gibt keine Handreichung, wie Vermieter künftig eine solch aussichtslose Situation vermeiden können.
Es kann versucht werden, die Problematik aufzufangen, indem die Zulassung oder der Ausschluss von Konkurrenz im konkreten Einzelfall individuell geregelt werden. Es empfiehlt sich, im Rahmen des Geschäftszwecks die Nutzungsart so genau wie möglich zu beschreiben und anschließend individuell mit dem Mieter zu regeln, wie der Konkurrenzschutz räumlich, zeitlich und sachlich im konkreten Fall ausgestaltet werden soll.
Eine andere Möglichkeit könnte darin bestehen, dass man weiterhin auf Klauseln betreffend eine Betriebspflicht mit Sortimentsbindung zurückgreift, den Ausschluss des Konkurrenzschutzes aber dahingehend modifiziert, dass dem Mieter eine Reaktionsmöglichkeit auf Konkurrenz gewährt wird. So könnte zum Beispiel dem Mieter das Recht eingeräumt werden, eine Sortimentsanpassung (im Rahmen eines ausgewogenen Branchenmixes) oder eine Anpassung der Betriebszeiten in dem Fall vornehmen zu dürfen, in dem der Vermieter eine Konkurrenzsituation schafft. Ob eine entsprechende Klausel der Prüfung des BGH standhalten wird, ist allerdings unklar, insbesondere vor dem Hintergrund der mieterfreundlichen Entscheidungen der Vergangenheit.
Aufgrund der nunmehr vorherrschenden Unsicherheiten ist nur gewiss, dass dies nicht die letzte Entscheidung des BGH zu dieser Thematik gewesen sein wird.
Verfasst von Dr. Janina Luzius