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Rechtliche Zuordnung von grundstücksübergreifenden Tiefgaragen - BGH legt Kriterien zur Beurteilung der Einheitlichkeit eines Gebäudes fest

In der Grundbuchsache V ZB 12/22 hatte sich der BGH mit der Frage zu beschäftigen, ob eine grenzüberschreitende Tiefgarage, die als rechtmäßiger Überbau errichtet wurde, als eigenständiges Gebäude zu betrachten ist, auch wenn sie baulich mit einem Wohnhaus verbunden ist oder verbunden werden soll, dem es als Fundament dient. Bisher gab es dazu keine höchstrichterliche Rechtsprechung. Ein BGH-Urteil aus 1983 hatte nur eine periphere statische Verbindung zum Gegenstand, die als nicht maßgeblich eingestuft worden war. Dies führte zu unterschiedlichen Beurteilungen, vor allem bei der für die Praxis wichtigen Begründung von Teileigentum an Kfz-Stellplätzen. Welche Kriterien nun zur Beurteilung der Einheitlichkeit heranzuziehen sind, lesen Sie im folgenden Artikel.

Einführung

Im Beschluss vom 15. Juni 2023, V ZB 12/22 (siehe hier), hat der für das Eigentum an Grundstücken zuständige Senat des BGH Rechtssicherheit für eine Projektentwicklungspraxis in deutschen Innenstädten geschaffen. Dort findet sich häufig unter mehreren Gebäuden verschiedener Eigentümer eine einheitliche Tiefgarage.

In der Praxis wird entweder der Ansatz verfolgt, die Tiefgarage an der Grundstücksgrenze zu teilen und den jeweiligen Hochbauten zuzuweisen, zumal baugenehmigungsrechtlich und in der Nutzung oberirdische Büros oder Wohnungen und unterirdische Stellplätze zusammen benötigt werden.

Den alternativen Weg, die von den fremden Hochbauten getrennte Tiefgarage komplett und einheitlich dem Eigentümer zuzuweisen, auf dessen Grundstück sich die Zufahrt zur Tiefgarage befindet, hat der BGH nun höchstrichterlich und damit rechtssicher bestätigt.

Zum Verfahrensgegenstand

Gegenstand der Entscheidung ist eine Tiefgarage in Wiesbaden, die weitgehend auf fremden Grundstücken errichtet wurde. Mittels Grunddienstbarkeiten hatten die verschiedenen Eigentümer geregelt, dass der Eigentümer des Zufahrtsgrundstücks, auf dem sich nur ein kleiner Teil des Baukörpers befinden sollte, von dort aus "unterbauen" sollte (sogenannter Überbau, § 912 BGB), um das Eigentum der Tiefgarage ausschließlich mit diesem Zufahrtgrundstück zu verbinden (sogenanntes Stammgrundstück). Die Nachbarn, auf deren Grundstücken sich die Tiefgarage im Wesentlichen befinden sollte, sollten kein Eigentumsrecht an der Tiefgarage haben, für sie wäre die Tiefgarage nur ein rechtlich irrelevanter "Scheinbestandteil" (§ 95 Abs. 1 Satz 2 BGB). Einer der Nachbarn sollte die Decke des Tiefgaragenbaukörpers sodann im Bereich seines Grundstücks als Fundament nutzen, um darauf ein eigenes Wohnhaus errichten zu können.

Der Eigentümer des Stammgrundstücks wollte sein Grundstück nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufteilen. Die Teilungserklärung umfasste den über die Ebenen -2 bis +7 verlaufenden "Tiefgaragenbaukörper" (so die Formulierung der Vorinstanz OLG Frankfurt am Main). Jeder einzelne Tiefgaragenstellenplatz, auch soweit er sich auf einem der fremden Grundstücke befindet, sollte eine Teileigentumseinheit bilden. Ob sich tatsächlich bis zum 7. Obergeschoss Stellplätze befanden und die Tiefgarage auch im Bereich des Überbaus sieben Obergeschosse umfasst, ist nicht mitgeteilt, aber wohl auch nicht entscheidend. 

Das Grundbuchamt und ihm im Ergebnis folgend das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 17.02.2022 – 20 W 261/20, siehe hier), lehnten die Teilung ab. Es sei nicht nachgewiesen, dass die Tiefgarage und das noch zu errichtende Wohnhaus auf dem Nachbargrundstück kein einheitliches Gebäude bilden (§§ 93, 94 BGB). Es könnte im Zusammenhang mir einer eingetragenen Aufbaudienstbarkeit auch einheitliches Eigentum von Wohnhaus mit den darunter befindlichen und bis zur Grundstücksgrenze reichenden Teilen der Tiefgarage entstanden sein. Dann wären die dortigen Stellplätze nicht Bestandteil des Stammgrundstücks. Neben der körperlichen bautechnischen Beschaffenheit müsste auch geklärt werden, mit welchem Grundstück die Tiefgarage eine funktionale Einheit bildet. Dies könne vor Fertigstellung eines Gebäudes aufgrund von sich eventuell aus dem Bau ergebenden bautechnischen Änderungen nicht beurteilt werden.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat seinen Beschluss vom 15. Juni 2023 mit drei amtlichen Leitsätzen zusammengefasst:

  • Maßgeblich für die Beurteilung der Einheitlichkeit von Gebäuden ist bei einem Überbau immer die Verkehrsanschauung; die körperliche bautechnische Beschaffenheit stellt nicht das allein entscheidende Kriterium dar, sondern erlangt nur im Rahmen der festzustellenden Verkehrsanschauung Bedeutung.
  • Erstreckt sich eine Tiefgarage als rechtmäßiger Überbau auf andere Grundstücke, führt allein die bautechnische und statische Verbindung der Tiefgarage mit auf den überbauten Grundstücken aufstehenden Gebäuden nicht dazu, dass die Tiefgarage kein einheitliches Gebäude ist.
  • Auch Verbindungen der auf den überbauten Grundstücken aufstehenden Gebäude mit dem Tiefgaragenkörper durch Treppenhäuser, Aufzugsschächte, Fluchtwege und der Haustechnik dienenden Versorgungseinrichtungen oder von den anderen Grundstücken ausgehende weitere Zufahrten stehen der Einordnung der Tiefgarage als einheitliches Gebäude nicht entgegen.

Laut BGH bleibt es zwar bei dem Grundsatz, dass ein Gebäude, dessen Teile nicht voneinander getrennt werden können, ohne dass der eine oder andere zerstört oder in seinem Wesen verändert werde, als ein einheitliches Gebäude zu betrachten ist und sich dies in erster Linie nach seiner körperlichen bautechnischen Beschaffenheit richtet. Obwohl die Zerstörung der Tiefgarage dem Wohnhaus das Fundament nehmen würde, hat der BGH unter Heranziehung der Verkehrsanschauung hier eine Ausnahme vom Grundsatz festgestellt. Das Gericht stützt sich auf die allgemeine Lebenserfahrung, nach der davon auszugehen sei, "dass sich die eigentumsrechtliche Zuordnung dieses Überbaus nicht allein dadurch ändert, dass auf den überbauten Tiefgaragenteilen Gebäude aufgebaut wurden bzw. werden können."

Fazit

Dem Ergebnis des BGH ist zuzustimmen. Die Entscheidung deckt sich mit dem Willen der Beteiligten und ist praktikabel.

In der Begründung knüpft der BGH an den generellen Maßstab der Verkehrsanschauung an. Nach der Verkehrsanschauung ist beispielsweise ein auf einem einheitlichen Fundament ruhendes Doppelhaus nicht ein Gebäude, sondern bildet jede Doppelhaushälfte ein eigenständiges Gebäude. Die vom BGH gegebene Begründung mit der Lebenserfahrung lässt noch Raum für eine akademische Diskussion. Denn die Verkehrsanschauung betrifft die Frage: "Eine oder zwei Sachen, und wenn zwei Sachen, wo ist dann die Grenze?" Ob eine gegenwärtiger oder künftiger gesonderter Wohnhausbau rechtlich etwas ändert, ist keine Frage der Lebenserfahrung, sondern eine Rechtsfrage. Diese Rechtsfrage hätte das Grundbuchamt unter Auswertung der Fakten mit der Verkehrsanschauung beantworten können und müssen. Nur Fakten sind dem Grundbuchamt nachzuweisen. Die rechtliche Beurteilung konnte das Grundbuchamt selbst vornehmen und musste hierzu insbesondere nicht den Baukörper in Augenschein nehmen. Dies würde in der Tat nicht zu den Aufgaben des Grundbuchamts gehören.   

Am Rande der Entscheidung klingen zwei Rechtsfragen an:

Braucht der Nachbar für die Errichtung des Wohnhauses eine Grunddienstbarkeit am Stammgrundstück? Das OLG Frankfurt am Main hatte das mit Beschluss vom 22. Juli 2020 im Verfahren 20 W 296/19 bejaht, weil es zu einer baulichen Verzahnung von Wohnhaus und Tiefgarage kommen müsse. Dies klingt überzeugend, wäre doch selbst ein in die Tiefgaragendecke eingeschlagener Nagel schon eine Eigentumsbeeinträchtigung. Der BGH hat sich insoweit nicht festgelegt, aber angedeutet, dass die Grunddienstbarkeit im Fall des OLG Frankfurt am Main stärker als Nutzungsdienstbarkeit (Recht, die Tiefgarage als Fundament zu benutzen) hätte gestaltet werden sollen.

Kann der Eigentümer des Stammgrundstücks die Tiefgarage abreißen und damit dem Wohnhaus das Fundament entziehen? In der Literatur wird diese Frage überzeugend mit der Begründung verneint, dass die Decke der Tiefgarage wie eine horizontale Nachbarwand zu verstehen sei, die nicht ohne Zustimmung beseitigt werden darf (§§ 921, 922 BGB). In der Beratungspraxis, die um klare Verhältnisse und Streitvermeidung bemüht ist, drängt sich die Nutzungsdienstbarkeit gleichwohl auf.    

 

Verfasst von Bernhard Kuhn und Kerstin Schoening.

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